Ein mobiler Info-Schalter für die ausgebeuteten Landarbeiter in den Obstplantagen in Kalabrien
Das Phänomen der Migration hat viele Gesichter, nicht nur die hoffnungslos überladenen, alten und baufälligen Boote aus Afrika, die das Mittelmeer überqueren. In Kalabrien, eine Region in Süditalien, die seit jeher mit einer ganzen Reihe von sozialen und politischen Problemen zu kämpfen hat, werden Einwanderer aus Afrika und Osteuropa für die Produktion und Ernte von Zitrusfrüchten und Oliven ausgebeutet und unterliegen menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen. Die jüngste Initiative von Mediterranean Hope, das Flüchtlingshilfs-Projekt der Föderation der Evangelischen Kirchen in Italien, FCEI, möchte diese Menschen in Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen vor Ort durch die Einrichtung eines mobilen Info-Schalters unterstützen.
Das Projekt Rosarno, so genannt nach der gleichnamigen Stadt in der Ebene von Gioia Taura, wurde während eines zweitägigen Seminars in Kalabrien u. a. von Koordinator Paolo Naso und dem Präsidenten der FCEI, Luca Negro, präsentiert. Die Teilnehmer besuchten am zweiten Tag zwei Wohnlager der Landarbeiter und könnten sich persönlich von den überaus prekären Zuständen überzeugen. Containerbaracken bzw. Zelte, kein Strom, kein fließendes Wasser, keine Sanitär-Anlagen. Für die ELKI haben die Diakonie-Beauftragte Daniela Barbuscia, die Vizepräsidentin der FCEI, Christiane Groeben und die Diakoniebeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Neapel an der Tagung teilgenommen.
Das Projekt Rosarno besteht aus einem mobilen Info-Schalter, der bereits im September seine Arbeit aufgenommen hat. Mediterranean Hope hat dafür zwei junge Männer angestellt, einen Italiener und einen Afrikaner mit gültiger Aufenthaltserlaubnis. Sie leisten den Landarbeitern Rechtshilfe, psychologischen und medizinischen Beistand. Wie sich bereits im ersten Monat zeigte, ist eines der größten Probleme, die Tatsache, dass die Landarbeiter keinen Wohnsitz anmelden können, da das Sicherheits-Dekret der Lega – Cinque Stelle Regierung Italiens die Möglichkeit des “konventionierten” Wohnsitzes abgeschafft hat. Ohne gültigen Wohnsitz kann aber die Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert werden, es kann kein regulärer Arbeitsvertrag ausgestellt werden und die Arbeiter haben keine Krankenversicherung. Die Fremdarbeiter sind daher gezwungen unter menschenunwürdigen Bedingungen in provisorischen Lagern zu leben, die mehr und mehr einem Ghetto gleichen.
Eines der von den Tagungsteilnehmern besuchten Lagern verfügt dank der großzügigen Holz-Spende eines österreichischen Bürgers und dank freiwilligen Helfern aus dem Trentino über eine Art Blockhaus, das u. a. als Schule genutzt wird. Zweimal in der Woche erhalten die Arbeiter von Freiwilligen der Vereinigung „SOS Rosarno“ dort Italienisch-Unterricht. SOS Rosarno setzt sich zudem zusammen mit einigen Produzenten aus Rosarno, die für gerechte Arbeitsbedingungen eintreten, für den Aufbau einer Produktionskette nach dem Prinzip des „Fairen Handels“ ein. Daniela Barbuscia: „Auch das Blockhaus hat keinen Stromanschluss, man könnte Solarzellen auf dem Dach anbringen und es fehlt an didaktischem Material. Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir als Kirche hier ein diakonisches Projekt aufbauen.“
Die prekären Lebensumstände und unmenschlichen Arbeitsbedingungen der Arbeiter in den Obstplantagen haben bereits Menschenleben gefordert. Daniela Barbuscia: „Allerdings muss man anerkennen, dass sich die Lage seit 2010, als es zu einem Aufstand der Arbeitskräfte kam, nachdem zwei Arbeiter nach einer regelrechten “Jagd auf den schwarzen Mann” mit Gewehrschüssen verletzt worden waren, doch etwas gebessert hat. Den Fremden wird mit mehr Toleranz begegnet und das Phänomen der Schwarzarbeit wird immer mehr wahrgenommen … ebenso wie die Tatsache, dass es ohne diese Menschen keine Arbeitskräfte für die Arbeit in den Plantagen gäbe”.
Die Föderation der Evangelischen Kirchen in Italien, die das Projekt Mediterranean Hope ins Leben gerufen hat, scheint fest entschlossen, ihr Engagement in Kalabrien noch zu verstärken. Es wird über die Schaffung einer eigenen Marke im Rahmen des „Fairen Handels“ unter dem Namen „Etica“ nachgedacht, um unter diesem Namen Produkte wie Orangen und Mandarinen unter gerechten Arbeitsbedingungen herzustellen und auf dem nationalen Markt abzusetzen. Im Anschluss an den Besuch der beiden Camps, waren die Tagungsteilnehmer zu einem Austausch mit den beiden Bürgermeistern der kalabresischen Gemeinden Rosarno und San Ferdinando eingeladen, die ebenfalls bestrebt sind, sich für die Interessen dieser Menschen einzusetzen und zugesagt haben, die Tätigkeit der Hilfsorganisationen unterstützen zu wollen, um auf privatem Weg dort einzugreifen, wo der Staat nicht in der Lage ist, in ausreichendem Maße gesetzlichen Schutz zu gewähren.